In der Regel ist unser Verhalten weit weniger ordnungsgemäß, als wir es uns vorstellen. Wir überfliegen den Bildschirm auf der Suche nach der gewünschten Information. Finden wir den ersten Link, der vage unseren Vorstellungen entspricht, folgen wir ihm und setzen unsere Suche auf der neuen Seite fort. Ein Großteil der mühevoll konzipierten Seite bleibt unentdeckt.
Wie wir diesem Phänomen begegnen können, erklärt Steve Krug in seinem Buch Don’t Make Me Think. Der Titel bringt es perfekt auf den Punkt: Wir sollten dem Nutzer ermöglichen, seinem Weg durch unsere Website intuitiv zu folgen. Es sollte ersichtlich sein, was eine Seite zu bieten hat und welcher Pfad zu welchem Ergebnis führt. Jede Pause, die eingelegt werden muss, um Informationen aktiv zu verarbeiten, hindert unseren Besucher daran, sein Ziel zu erreichen.
Intuitive Navigation
Meist betreten wir eine Website aus einem konkreten Grund und widmen unsere Aufmerksamkeit der Bewältigung einer bestimmten Aufgabe. Wir überfliegen die Seite nach passenden Schlagworten oder Informationsfetzen, die übrigen Elemente nehmen wir kaum wahr. Damit fahren wir in der Regel sehr gut. Schließlich möchten wir kein umfangreiches Verständnis für die Website als solche entwickeln, sondern unser Ziel erreichen.
Im Umgang mit unserer Umwelt ergründen wir keine tieferen Funktionsweisen, sondern verlassen uns auf eine ungefähre Interpretation, solange sie uns zuverlässig ans Ziel führt. In der Regel müssen wir nicht im Detail wissen, wie eine LED Lampe Licht erzeugt oder wie aus Sonnenlicht Strom erzeugt wird. Solange wir unsere Leuchte an das Stromnetz anschließen können und sich bei Betätigung des Schalters unser Zimmer erhellt, können wir auch mit einem stark vereinfachten Modell sehr gut leben. Don Norman prägte hierfür den Begriff Conceptual Model
Satisficing
So ähnlich verhält es sich auch mit dem Verhältnis unserer Nutzer zum Internet: Solange sie auf kein Hindernis stoßen, werden sie wenig Anreize entwickeln, komplexere Zusammenhänge zu erforschen. Steve Krug spricht in diesem Zusammenhang von Satisficing: Der Nutzer wählt nicht die beste Option, sondern die erste Option, die seinem Ziel angemessen erscheint. Dabei betont der Autor aber auch, dass es zielführend sein kann, sich durchzuschlagen, aber auch sehr fehleranfällig.
Die Risiken seien dabei in der Regel aber überschaubar: Verliert der Nutzer durch einen falsch gewählten Link sein Ziel aus den Augen, reicht meist ein Klick aus, um ihn zurückzuführen. Gleichzeitig böten viele Websites auch gar nicht die Möglichkeit, sich ausreichend schnell zurechtzufinden: Häufig sei es effizienter, sein Glück zu versuchen, als sich zuerst Orientierung zu verschaffen.
Eine zufällig gefundene, oder von uns beabsichtige, bessere Lösung wird aber gerne übernommen. Nicht nur das: Der Stolz, diesen besseren Lösungsweg entdeckt zu haben, kann einen Nutzer zukünftig zusätzlich motivieren unser Produkt zu nutzen.
Wir profitieren, wenn unsere Nutzer ein besseres Verständnis unserer Seite entwickeln. Nicht nur können bisherige Tätigkeiten schneller reproduziert werden, auch steigt die Wahrscheinlichkeit sich tiefer in die Website einzuarbeiten und komplexere Funktionen zu testen. Ein tieferes Verständnis steigert die Zufriedenheit der Nutzer merklich. Sie kehren nicht nur mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder, sondern bleiben unserem Angebot auch dann treu, wenn ein Mitbewerber ein Angebot mit guter Usability entwickelt.
Reservoir of Goodwill
Steve Krug spricht von einem Reservoir of Goodwill: Jede Unterbrechung, jede Ablenkung, jeder Moment der Unsicherheit verbraucht das Wohlwollen unserer Nutzer. Bewusste Unterbrechungen können besonders negativ aufgefasst werden. Dazu zählen insbesondere Irreführungen durch Clickbait oder Pop-ups, unterschlagene Informationen oder unberechtigt großer Zugriff auf Nutzerdaten. Auch ohne schlechte Absichten können wir einer ganzen Reihe von Stolpersteinen begegnen: Unprofessionell gestalte Websites und fehlerhafte Formularfelder können ähnlich abschreckend wirken.
Nicht jeder Besucher bringt ein gleich großes Reservoir an Wohlwollen mit, es ist aber durchaus möglich, verlorenes Wohlwollen zurückzugewinnen. Laut Steve Krug gelingt das am besten, wenn wir unsere Nutzer gut genug kennen, um ihnen bewusst zeigen zu können, wie wichtig uns ihre Bedürfnisse sind.
Ein intuitives Nutzererlebnis
Wie also verbessern wir das Nutzererlebnis? Wie ermöglichen wir schnelle Navigation ohne größere Unterbrechungen? Steve Krug beleuchtet insbesondere vier Punkte:
- Konventionen
- Visuelle Nutzerführung
- Vermeidung von Ablenkungen
- Gut formatierte Texte
Konventionen
Wieso ist die Tastatur so aufgebaut, wie wir sie kennen? Die Anordnung der Tasten ist nicht perfekt, aber einfach genug, um erlernt zu werden. Bei ihrer Einführung hat sie das Problem hakender Mechanik in Schreibmaschinen gelöst. Das Konzept war also gut genug, um Nutzer an ihr Ziel zu führen und andere Unternehmen zu überzeugen, das Konzept zu übernehmen. Da wir heute an das Tastenlayout gewohnt sind, würden Alternativen auf erheblichen Widerstand stoßen. Die Schreibgeschwindigkeit könnte durchaus gesteigert werden, aber wer will die Positionen der Buchstaben schon ein zweites Mal auswendig lernen?
Hier handelt es sich um ein typisches Beispiel für eine Konvention. Haben wir einen neuen Lösungsansatz gefunden, müssen wir abwägen: Ist unser Weg selbsterklärend und muss nicht neu erlernt werden? Wenn nicht, ist unsere Lösung so signifikant besser, dass der Nutzer von gewohnten Pfaden abweicht?
Solange unser Konzept keinen drastischen Mehrwert bietet, sollten wir hinterfragen, ob es den zusätzlichen Aufwand wert ist, oder Nutzer von ihrem Ziel ablenkt.
Visuelle Nutzerführung
Zusammenhänge sollten klar nachzuvollziehen sein. Mithilfe grafischer Strukturen können wir verdeutlichen, welche Elemente zusammenhängen und wie sie priorisiert sind. Klar definierte und abgegrenzte Themengebiete ermöglichen die schnelle Orientierung. Wichtige Elemente sollten gezielt hervorgehoben werden, Zusammenhänge sollten sich in der Gestaltung widerspiegeln.
Links und Buttons sollten den Konventionen entsprechende Formen, Formatierungen und Platzierungen erhalten, um schnell erkannt zu werden. Laut Steve Krug ist es übrigens nicht wichtig, wie viele Klicks unser Ziel entfernt ist: Solange der Nutzer sich fließend durch seinen Pfad klicken kann, werden Links kaum als Störung wahrgenommen.
Vermeidung von Ablenkungen
Inhalte sollten klar priorisiert werden. Um visuelle Aufmerksamkeit kämpfende Elemente neutralisieren sich gegenseitig und irritieren unsere Nutzer. Rein dekorative Elemente sollten ebenfalls nur verwendet werden, wenn der visuelle Mehrwert die Ablenkung von wichtigeren Inhalten rechtfertigt.
Textfelder können wir nach ähnlichen Kriterien bewerten: Alles, was den Nutzer von seinem Pfad ablenkt, sollte vermieden werden. Abschnitte sollten präzise formuliert sein und ohne unnötige Füllwörter auskommen. Jedes Textfeld sollte einen klaren Benefit für den Leser bereithalten. Eigenwerbung und Smalltalk werden von Lesern ignoriert und können ersatzlos gestrichen werden.
Gut formatierte Texte
Texte sollten vom Leser bestmöglich überflogen werden können. Gut platzierte Überschriften geben einen Anhaltspunkt, wo mit der Suche begonnen werden kann. Kurze Paragrafen sind einfacher zu überfliegen. Fett formatierte Schlüsselwörter vereinfachen die Suche deutlich. Aufzählungszeichen führen Leser direkt zum Ziel.
Don’t Make Me Think
Don’t Make Me Think bietet großartige Einblicke in die Psyche der Nutzer. Weitere Kapitel, auf die ich in der Länge des Artikels nicht eingehen konnte, umfassen Usability Testing, mobiles Design und Accessibility. Ich hoffe, dass ich zu einem späteren Zeitpunkt zu diesen Themen zurückkehren werde. In der Zwischenzeit kann ich jedem Leser empfehlen, sich ein eigenes Bild von Steve Krugs Werk zu machen.